Ein Vortrag in der Gedenkstätte KZ Hinzert
Zum Antikriegstag am 01. September luden der Förderverein der Gedenkstätte KZ Hinzert sowie Erinnern & Gedenken in Rheinland-Pfalz zu einer sehr speziellen Vortragsveranstaltung ein, die von zahlreichen Interessierten besucht wurde.
Katrin Raabe, Diplompädagogin und Fachbuchautorin, berichtete aus ihren z.T. sehr persönlichen und privaten Bemühungen um die Erforschung ihrer eigenen Lebensgeschichte. Im Mittelpunkt ihres Vortrages standen die Recherchen um ihren Großonkel Friedrich Schmidt, der als Gestapo-Mann vor allem luxemburgische Widerstandskämpfer verhört hatte.
Mit ihrem Vortrag wollte die Autorin zum einen die Geschichtswahrnehmungen von Zeitzeugen und deren Nachfahren beleuchten, wonach angeblich knapp zehn Prozent der Bevölkerung der Gruppe der Täter und Beteiligter zuzuordnen waren, während die deutliche Mehrzahl gemäß der Familiennarrative der Gruppe der Widerständler zuzuordnen waren. Historische Auswertungen sehen demgegenüber mehr als ein Drittel der damaligen Bevölkerung als der Gruppe der Täter und mehr oder weniger aktiver Mitläufer zugehörig. Weniger als 0,3% der Bevölkerung von 1938 waren stattdessen aktiv als Helfer für NS-Opfer.
Die Ausarbeitungen unterstreichen, dass die deutsche Bevölkerung sich der Taten der Nazis nicht nur nicht unbewusst war, sondern tatsächlich von einer Mitschuld der Öffentlichkeit an der Verfolgung von Unerwünschten auszugehen ist.
In letzter Konsequenz zeigen diese Zahlen auf, wie sehr das NS-System seinen Niederschlag mit und in den heutigen Familien findet; sei es als Nachfahren und Angehörige von Tätern und Helfern oder von Opfern und insofern innerfamiliäre Recherchen so oder so zu interessanten, z.T. erschreckenden Ergebnissen führen (können).
Frau Raabe berichtete, wie sie verschiedene Stätten der Aktivitäten ihres Großonkels aufsuchte und Gräber seiner Opfer besuchte. Hier spielten auch die Villa Pauly in Luxemburg und das SS-Sonderlager/ KZ Hinzert wichtige Rollen. Als Mitarbeiter der Gestapo war der Großonkel wesentlich an Verhören von luxemburgischen Gegnern der deutschen Besatzung beteiligt.
Das SS-Sonderlager/Hinzert war bis 1945 die zentrale Haftstätte für luxemburgische Gefangene und wurde für viele der Ausgangspunkt zur Deportation in andere Haftstätten und Konzentrationslager. Insgesamt fanden mehr als 85 der rund 1560 Luxemburger, die das Lager durchliefen, den Tod, davon 43 im Rahmen von (Massen-)Erschießungen.
Im September 1944 fanden kurz vor der Befreiung Luxemburgs und Teilen von Lothringen unter Beteiligung des Großonkels Erschießungen in Palzem und Nennig statt; drei Männer aus Luxemburg und fünf Männer aus Frankreich fanden hier den Tod. Zwei weitere Opfer wurden anonym auf dem Friedhof in Nennig begraben. Alle Leichen wurden 1946 exhumiert und repatriiert.
Katrin Raabe reiste nach Lothringen, in den kleinen Ort Audun-le-Tiche an der französisch-luxemburgischen Grenze, nach Esch-sur-Alzette, nach Luxemburg Stadt; sie war im Elsass, in der Auvergne, in Palzem und Nennig und anderen Orten.
Bei ihren Besuchen an den genannten Orten konnte Frau Raabe auch mit Nachfahren der Misshandelten und Gestorbenen sprechen und sich mit deren Hintergrundwissen abstimmen.
Weitere Recherchen beschäftigen sich mit den Ermittlungsakten und Protokollen u.a. des Tribunal de Premiere Instance in Rastatt für die Aburteilung von Kriegsverbrechen und den Ermittlungsverfahren Ende der 50iger Jahre in Saarbrücken. Hier wurde am Ende das Verfahren ihres Onkels mit dem Hinweis auf mangelnde Erfolgsaussichten für eine weitere Ermittlung eingestellt.
Mit ihrem Vortrag bot die Autorin den Zuhörerinnen und Zuhörern eine breite Grundlage zur Recherche von Aktivitäten eigener Angehöriger im Nationalsozialismus.
Katrin Raabe verwies auf konkrete Möglichkeiten von online Recherchen, der Aktenauswertungen in Archiven sowohl in Deutschland (Stadtarchive, Bundesarchiv, Landesarchiv z.B. des Saarlandes) als auch im Nationalarchiv von Luxemburg und Frankreich und zeigte auf, wie tatsächlich konstruktiv und unterstützend die Beschäftigten in den verschiedenen Dokumentationshäusern und Archiven sind. Sie munterte die Zuhörer und Zuhörerinnen auf, sich dieser Möglichkeiten zu bedienen. In einem später folgenden Online-Vortrag stellte Frau Raabe zusammen mit Roland Laich konkrete Archive in Verbindung mit konkreten Recherchefragen vor und zeigte auf, wie man für seine Fragestellung Schritt für Schritt zu immer klareren Bildern und Erkenntnissen vordringen kann.
Seit den Geschehnissen in Hinzert und Palzem/Nennig sind inzwischen 80 Jahre vergangen. Dennoch und gerade deshalb ist die Erinnerungsarbeit sowohl im Hinblick auf die Opfer, aber auch mit den Tätern und deren Hintergründen im Fokus besonders wichtig.
Um innerhalb der Familie mit der Beteiligung des jeweiligen nahen Verwandten umgehen zu können, aber auch um für die Bevölkerung und Nachfahren der Opfer die Erinnerung aufrecht zu erhalten, organisierte Frau Raabe eine Ausstellung in Luxemburg sowie – erst kürzlich – eine Gedenkveranstaltung in Nennig und bindet hier vor allem Schülerinnen und Schüler ein, für die Gedenkarbeit nach 80 Jahren eine besondere Bedeutung einnimmt und einnehmen muss.
So arbeiteten der Geschichts-Leistungskurs des Gymnasiums Saarburg und Katrin Raabe aus dem Verein NS-Familien-Geschichte e.V gemeinsam an einem Gedenkprojekt zu den Erschießungen der Widerstandskämpfer in Palzem und Nennig im September 1944.
Im Gedenkprojekt arbeiteten die Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Gruppen.
- Eine Gruppe führte Interviews mit Expertinnen und Experten und Menschen aus der Region,
- Eine zweite Gruppe setzte sich für die Installation von Gedenktafeln auf den Friedhöfen in Palzem und Nennig ein.
- Eine Gruppe erstellte Unterrichtsmaterialien für Schulen.
- Und eine Gruppe unterstützte den Verein bei der Sozial Media Arbeit.
Verweise:
